GeM richtet den Blick nicht nur auf Frauen, sondern auch auf Männer als Zielgruppe gleichstellungspolitischer Bemühungen.
Da die Geschlechterungleichheit in unserer Gesellschaft zu Benachteiligungen von Frauen führt, ist Frauenförderung unbestritten von zentraler Bedeutung. Gleichstellungspolitik jedoch ausschließlich als Frauenförderung zu begreifen, birgt die Gefahr, dass Frauen als „Problemgruppe“ oder „defizitäres Geschlecht“ wahrgenommen werden, während Männer weiterhin als allgemeine Norm gelten und in ihrer Männerrolle unhinterfragt bleiben. Ein Beispiel dafür ist die Norm des „männlichen Normalarbeitsverhältnisses“ in Form der, von familiären Aufgaben uneingeschränkten, kontinuierlichen Vollzeiterwerbstätigkeit. Das Beschäftigungs- und das Sozialsystem bauen auf dieser Norm auf, die die meisten Frauen aufgrund der Übernahme unbezahlter Familienarbeit, nicht erfüllen können. Frauen haben deshalb vielfältige Nachteile im Berufsleben und in ihrer sozialen Absicherung. Wenn sich Gleichstellungspolitik ausschließlich darauf konzentriert, Frauen bei der Anpassung an die männliche Norm zu unterstützen, ohne diese Normen und Strukturen selbst, und ohne die Rolle der Männer (z.B.. bei der Übernahme von Betreuungsarbeit) zu hinterfragen, wird tatsächliche Gleichstellung nicht zu erreichen sein.
Männer als Zielgruppe von Gleichstellungspolitik einzubeziehen, bedeutet zuerst einmal zu betonen, dass auch Männer ein soziales Geschlecht haben. Es gilt Männer in ihrer Männerrolle und ihrer männlichen Identität wahrzunehmen sowie das gängige Männlichkeitskonzept als vorherrschendes soziales Konstrukt zu hinterfragen.
Während die Frauenrolle partiell in Veränderung begriffen ist, indem Frauen zunehmend in die ,,männliche“ Sphäre der Erwerbsarbeit vordringen, blieb die Männerrolle mit dem Berufsleben im Zentrum sehr stabil. Der Part von Männern in der Familie beschränkt sich im Wesentlichen immer noch auf die Rolle des ,,Ernährers“ und bestenfalls Mithilfe bei Kinderbetreuung und Haushalt. Die Hartnäckigkeit, mit der vor allem Männer an der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung festhalten, hängt (unter anderem) mit der Hierarchie der ,,weiblichen“ Familien- und ,,männlichen“ Erwerbssphäre zusammen. Die berufliche Männerrolle ist mit Einkommen, Prestige und Macht verbunden, während die familiäre Rolle der Frauen unbezahlte Arbeit, ökonomische Abhängigkeit, geringes Prestige und gesellschaftliche Machtlosigkeit bedeutet. Die Nicht-Erfüllung oder Änderung der Männerrolle bringt Privilegienverlust mit sich, solange sich die Übernahme von Familienarbeit nachteilig auf die Chancen im Berufsleben auswirkt.
Notwendige Veränderung der Strukturen und Rahmenbedingungen
Gleichstellung ist nicht möglich, solange Frauen immer häufiger erwerbstätig sind, Männer im Gegenzug aber keine oder nicht genug Familienarbeit leisten. Sie ist aber auch nicht durch einen bloßen Rollentausch und damit einem Austausch von Benachteiligungen zu erreichen, sondern nur durch eine Auflösung der Trennung von (männlicher) Berufs- und (weiblicher) Familienarbeit. Das Beschäftigungs- und Sozialsystem muss so umgestaltet werden, dass die gleichzeitige Übernahme von Familien- und Erwerbsarbeit für Frauen und Männer ohne berufliche Entwicklungseinbußen, soziale Risiken und individuelle Mehrfachbelastungen möglich ist. Für mehr Gleichstellung müssen sich also die Bedingungen und Strukturen des Erwerbssystems gleichzeitig mit (vor allem) den Männern ändern. Auch die der vorherrschenden Arbeitskultur zugrunde liegenden Rollenbilder bedürfen einer Änderung für mehr Gleichstellung in der Berufswelt. Die männlich geprägte Arbeitskultur etwa, mit dem Postulat uneingeschränkter zeitlicher Verfügbarkeit, sowie Männerseilschaften mit informellen Ausgrenzungen jener, die „nicht in den Kreis passen“, verhindern nicht nur den Aufstieg von Frauen (und Männern, die den Regeln und Rollen nicht entsprechen), sondern bestimmen das gängige Verständnis von Leistung, beruflichen Zeitstrukturen, Formen der Hierarchie, sowie die Bewertung verschiedener Berufe und Tätigkeiten. D. h. Männer als Zielgruppe der Gleichstellungspolitik bedeutet, zu einer Veränderung ihres Rollenverhaltens beizutragen. Dies erfordert von ihnen eine aktive Auseinandersetzung mit ihrem Selbstverständnis und ihrer Rolle als Mann. Für eine gerechte Verteilung von Berufs- und Familienarbeit ist es notwendig, dass sich Männer von der traditionellen Männerrolle mit der Erwerbstätigkeit als zentrales oder alleiniges Bestimmungsmoment männlicher Identität emanzipieren und zu einer neuen Lebenskonzeption gelangen, die auch die selbstverständliche Übernahme von Familienarbeit beinhaltet. Die bisherige Minderheit jener Männer, die die gängige Männerrolle nicht erfüllen und Kinderbetreuung übernehmen oder etwa in typischen Frauenberufen arbeiten, sind jedoch in ihrem Alltag noch einem vielfältigem Behauptungsdruck ausgesetzt. Abgesehen davon, dass sie oft ironisch dargestellt werden und mit stereotypen Vorurteilen zu kämpfen haben, unterliegen sie meist einem hohen Rechtfertigungsdruck, wenn sie z.B.in Karenz gehen oder Teilzeit arbeiten möchten. Zudem sind sie bei dem Versuch, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bekommen, mit all den Problemen konfrontiert, wie sie bisher vor allem Frauen mit der Vereinbarkeit hatten. Maßnahmen, die sich spezifisch an die Zielgruppe Männer richten, sind bisher v.a. im Gesundheitsbereich zu finden. Die Anforderungen und Normen der männlichen Rolle beinhalten auch Zwänge, die sich vor allem auf Lebensqualität und Gesundheit von Männern niederschlagen. Das vorherrschende Männlichkeitskonzept führt zu beruflichem Erfolgsdruck, unterdrückter Emotionalität und vernachlässigten Sozialbeziehungen. Der Preis männlicher Vormachtstellung sind etwa größere Verletzungs-, Krankheits- und Sterberisiken und höhere Suizidraten. Damit ist Geschlechtsspezifische Gesundheitsvorsorge ein zentrales Thema der Arbeit mit der Zielgruppe Männer. Wobei die Gefahr besteht, dass es bei einer bloßen Symptombekämpfung bleibt, wenn sich an der Männerrolle in der Gesellschaft selbst nichts ändert. Während Frauen bisher anerkanntermaßen in männerdominierten Berufen gefördert werden, ist die Förderung von Männern in typischen Frauenberufen, wie etwa im Sozial- und Pflegebereich, noch weitgehend ein blinder Fleck gleichstellungsorientierter Arbeitsmarktpolitik. Die Auflösung der geschlechtsspezifischen Trennung des Arbeitsmarktes in typische ,,Frauen und Männerberufe“ ist jedoch ein Anliegen der Gleichstellungspolitik, das auch Anforderungen an ein neues Rollenverständnis von Männern stellt. Die Erhöhung des Männeranteils in typischen Frauenberufen, würde nicht nur dem beidseitigem Aufbrechen geschlechtsspezifischer Trennungslinien am Arbeitsmarkt dienen, sondern etwa auch Kindern in Kindergarten und Schule männliche Betreuungspersonen als alternative Rollenvorbilder bieten.
Resümee: Die Männerperspektive im GeM
GeM als die Einbeziehung auch von Männern als Zielgruppe der Gleichstellungspolitik, bedeutet die Infragestellung männlicher Normen und Rollen. Ohne eine tiefergehende Veränderung der vorherrschenden Männlichkeitskonzepte und Männerrollen ist Gleichstellung letztlich nicht zu erlangen. Im Kontext des gegenwärtigen Strukturwandels des Arbeitsmarktes, in dem das Normalarbeitsverhältnis auch für Männer immer weniger die Regel darstellt, gilt es dabei, alte Leitbilder nicht nur der sozialen Realität anzupassen, sondern aktiv so zu gestalten, dass sie dem Ziel der Gleichstellung gerecht werden. Ausgewogene Balance für Frauen und Männer.
Aus: Skriptum